Die Haftung des Mutterkonzerns gegenüber Mitarbeitern der französischen Tochtergesellschaft und Schadensersatz.
Auslegung zweier wichtiger Entscheidungen des frz. Kassationsgerichtshofes bezüglich der generellen möglichen Haftung des Mutterkonzernes ggü. den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen eines frz. Tochterunternehmens (Cass. soc. 24-5-2018 n° 16-22.881 FS-PB, Sté Sun Capital Partners Inc. c/ A und Cass. soc. 24-5-2018 n° 16-18.621 FS-PB).
Gemäss einer neuen Entscheidung des französischen Kassationsgerichtshofes sind die Mitarbeiter einer französischen, sich in Insolvenz befindlichen Tochtergesellschaft berechtigt, aus unerlaubter Handlung gegen das ausländische Mutterhaus gerichtlich vorzugehen, wenn dieses durch schuldhaftes Handeln/Unterlassen dazu beigetragen hat, dass das frz. Tochterunternehmen Insolvenz anmelden musste und diese daher den eigenen Arbeitsplätz verloren haben.
Der Kassationsgerichtshof hatte bisher schon Klagen aufgrund unerlaubter Handlung der Arbeitnehmer gegen Drittunternehmen zugelassen, zu welchen eben keine eigenen arbeitsrechtliche Beziehung bestanden, wenn diesen Fehlverhalten vorgeworfen werden konnten, die für die spätere Insolvenz der Arbeitgeberunternehmen kausal waren (Cass. Soc. 28-9-2010, Cass. Soc. 08-07-2014).
Diese Richtung in der frz. Rechtsprechung wurde nun durch zwei neue Entscheidungen des Kassationsgerichtshofes noch einmal bestätigt und ergänzt (Cass. soc. 24-5-2018 und Cass. soc. 24-5-2018).
Eine entsprechende Schadensersatzklage der Mitarbeiter müsste jedoch vor den französischen Zivilgerichten und nicht Arbeitsgerichten, die eine Sonderzuständigkeit haben, innerhalb der fünfjährigen Verjährungsfrist geltend gemacht werden.
Einfaches Fehlverhalten des Mutterkonzern ist ausreichend (Cass. soc. 24-5-2018 n° 16-22.881)
Im ersten Fall hat das Berufungsgericht die Muttergesellschaft zur Zahlung von Schadensersatz an die Mitarbeiter verurteilt, aufgrund der Insolvenz des Tochterunternehmens und des späteren Verlustes der Arbeitsplätze.
Im vorliegenden Fall wies das Gericht dem Mutterkonzern gegenüber eine Reihe von Handlungen nach, die auf Kosten der Tochtergesellschaft erfolgten – und dies allein, um die eigenen Interessen des Mutterkonzerns zu schützen. Beispielsweise wurden überproportional hohe finanzielle Lasten dem Tochterunternehmen innerhalb der Gruppe aufgebürdet, eine kostenlose Übertragung einer Lizenz an eine andere Filiale des Konzerns angeordnet, eine Immobiliengarantie zugunsten einer anderen Tochtergesellschaft des Konzerns angewiesen sowie der Verkauf von Waren trotz Eigentumsvorbehaltes und die nur teilweise Bezahlung von offenstehenden Rechnungen des Tochterunternehmens gegenüber der Muttergesellschaft für bereits erbrachte Dienstleistungen erzwungen.
Diese Handlungen stellen für den frz. Kassationsgerichtshof ein fehlerhaftes und schädliches Verhalten des Mutterkonzerns dar. Im vorliegenden Falle unterlag der Mutterkonzern daher in der Revisionsinstanz. Die Anwälte der Muttergesellschaft trugen vor, dass es sich beim französischen Tochterunternehmen um eine eigenständige juristische Person handele und die Haftung des Mutterkonzerns als Alleingesellschafterin gegenüber den Mitarbeitern des Tochterunternehmens daher nur dann vorliege, wenn dieser eine vorsätzliche und schwerwiegende Handlung/Unterlassen begangen habe. Diese Voraussetzungen werden nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zumindest bei Haftungsfällen der Organe und der Gesellschafter gefordert, um einen Schadenersatzanspruch Dritter zu begründen (Cass. Soc. 10-2-2009 und Cass. Com. 18-4-2014).
Der Kassationsgerichtshof sah es mithin für ausreichend an, wenn der Mutterkonzern im Eigeninteresse lediglich fehlerhaftes Verhalten ausübt, was mitunter auch zur Insolvenz des Tochterunternehmens und mithin des Arbeitgebers der französischen Mitarbeiter geführt hat.
Im Gegenzug kann nach bisher geltender französischer Rechtsprechung nicht vom Mutterkonzern gefordert werden, ihr alle zur Verfügung stehenden Mittel bereitzustellen, um im Rahmen von betriebsbedingten Kündigungen innerhalb der frz. Tochtergesellschaft die interne Umsetzung der Mitarbeiter oder die Finanzierung des Sozialplanes zu ermöglichen (Cass. Soc. 13-1-2010).
Keine Haftung des Mutterkonzerns bei fehlendem Verschulden (Cass. soc. 24-5-2018 n° 16-18.621)
In der zweiten o.g. Entscheidung des Kassationsgerichtshofes wurde hingegen der Berufung wie auch der Revision der entlassenen Mitarbeiter nicht stattgegeben.
Diese brachten vor, dass der entscheidende Einfluss des Alleingesellschafters bezüglich der finanziellen Verschlechterung der frz. Filiale, der Weigerung, den Sozialplan zu finanzieren wie ebenfalls dessen späteres passives Verhalten einen Schadenersatzanspruch der entlassenen Mitarbeiter begründen würde. Das Berufungsgericht hielt jedoch entgegen, dass im vorliegenden Fall die Situation der frz. Tochtergesellschaft bereits seit längerer Zeit beeinträchtigt war, der neue Alleinaktionär vergeblich versucht habe, Abhilfe zu schaffen um die Situation zu verbessern. Und, dass ihm nicht vorgeworfen werden könne, auch im Hinblick auf die eigene wirtschaftliche schwierige Situation, den Sozialplan in Frankreich nicht zu finanzieren.
Getrennte Aufgabe des Tochterunternehmens
Wichtig ist, festzuhalten, dass das Berufungsgericht wiederholt bestätigt, dass es nicht die strategische Aufgabe des Mutterkonzerns ist, für das Tochterunternehmen die wirtschaftlichen und personellen Entscheidungen zu treffen. Dies würde ansonsten zu einer – von den frz Gerichten restriktiv ausgelegten – Mitgeschäftsführung und de facto daher auch zu einer eigenen Arbeitgeberstellung des Mutterkonzerns gegenüber den französischen Arbeitnehmern führen (Cour de Cass. soc. 6-7-2016).
—
Rechtlicher Hinweis: Die Beiträge auf unserer Homepage tiemles.com erheben keinen Anspruch auf Aktualität und Vollständigkeit und sollen lediglich einem ersten Überblick dienen. Insbesondere können diese Beiträge keine umfängliche anwaltliche Beratung ersetzen. Unsere Kanzlei kann mithin hierfür keine Haftung übernehmen. Für verbindliche Auskünfte stehen wir Ihnen jedoch gerne mit unserem Team zur Verfügung.
Eine Information von ALARIS AVOCATS.